Mittwoch, 30. November 2011
Ungeduscht
Morgens kurz vor halb acht und es klingelt an der Haustür. Merkwürdig, sollte der Achtklässler den Bus verpasst haben, würde er doch auf den nächsten warten. Hm. Geh ich also an die Sprechanlage. Eine Freundin der Fünftklässlerin erbittet Einlass für ein Telefonat. Was folgt, ist ein mittelschweres Familiendrama, bei dem das Mädchen meiner Meinung nach unbedingt einen Fürsprecher an seiner Seite haben sollte. Also schnell den Schlafanzug gegen ein paar alltagstaugliche Klamotten eintauschen und hin zu der Familie.
Der Geigenbauer in Neustadt wird mit einer ungeduschten Kundin klarkommen müssen. Kinderseelen sind wichtiger.
Und auch die Geigenschüler am Nachmittag werden mit einer ungeduschten Lehrerin klarkommen müssen. Und mit einem etwas langweilig daherkommenden Infoblatt für das Weihnachtskonzert, wenn keine Zeit mehr ist für Weihnachtsbildchen drauf. Kommen die auch mit klar. Manchmal gibt es eben wichtigeres. Und ich hoffe sehr, ich konnte helfen. Und ein paar Denkanstöße in die richtige Richtung geben.

Die Geige, die ich ungeduscht in Empfang nehme zwei Stunden später, ist ein Hammer. Ich bin sehr verliebt! Hehe. Sie schläft sogar bei mir im Bett die erste Nacht. Und in der Quartettprobe am nächsten Tag wird sie nicht nur äußerlich glänzen.

Bei dem Versuch, das Café wiederzufinden, das mir so gut gefiel eine Woche zuvor, als ich die Geige nach Neustadt brachte, lande ich zufällig auf dem dortigen Weihnachtsmarkt, für dessen Erkundung mir gerade einmal 15 Minuten bleiben. Inklusive Nahrungsaufnahme und Rückweg zum Parkplatz. Der Flammkuchenmann schneidet mir sein Produkt in handgerechte Stücke, aber die Pappe ist zu groß und labberig, als dass man damit im Eiltempo die schöne Kirche neben dem Weihnachtsmarkt umrunden könnte. Ich geselle mich also zu dem Pärchen an dem Stehtisch der Flammkuchenbude und entfache ein Gespräch zwischen Flammkuchenmann und dem Pärchen. Esse den halben Flammkuchen. Deponiere die zweite Hälfte beim Flammkuchenmann, um ganz schnell doch noch die Kirche zu umrunden. Komme an einem Schokokussmann nebst Bude neben dem Scheffelhaus vorbei und disponiere um. Ich ordere, oh Schande, einen Mokka-Ne...kuss als Nachtisch für den Flammkuchen, den ich später im Auto aufessen werde. Der Kunde nach mir bestellt gleich mehrere. Wegen der Schokokusssache bleibt nun keine Zeit mehr für die Umrundung der Kirche. Aber das Scheffelhaus zu umrunden, das geht noch. Das ist kleiner und sogar noch schöner. Aber an der Ecke des Scheffelhauses werde ich aufgehalten. Von dem Kunden, der nach mir Schokoküsse kaufte. Der läuft mir nach und spricht mich auf meinen Kauf an. Gut sieht er aus, nicht mehr ganz jung, aber die Zähne gut gemacht. Und ich fühle mich gleich ertappt, weil ich an meinen sprachlichen Bestellungs-Fauxpas denke und entschuldige mich direkt dafür, er aber wischt das mit einer raschen Handbewegung weg. Kleinigkeit. Ob ich das auch gesehen habe, dass der Schokokussmann die Schokoküsse mit derselben, DERSELBEN Hand anfasse wie all das Münzgeld und all die Scheine, die täglich durch seine Finger wandern, fragt er. Nein, das sei mir nicht aufgefallen. Dann fallen Worte wie Keimschleuder und Millionen von Bakterien und ich bin irritiert, weil der lächelt mich die ganze Zeit an mit seinen gut gemachten Zähnen und ich frage mich, will der jetzt gleich Kaffee mit mir trinken gehen und wird sich nach meiner Tagesfreizeit erkundigen oder möchte er ein Strafverfahren gegen den armen Schokokussmann anzetteln und mich als Zeugin gewinnen. Und ich ergreife Partei für den Schokokussmann und sage, dass ich wenig Bedenken habe, da ich mich für sehr robust halte und keinen Schaden erwarte. Er hofft das dann auch für sich und wir wünschen uns gegenseitig einen guten Appetit. Er geht vondannen, ich umrunde das Scheffelhaus, nehme meinen Flammkuchenrest in Empfang, bin ganz entzückt, dass der Flammkuchenmann und das Pärchen inzwischen gute Freunde sind und sage dem Flammkuchenmann, er sei mein Held des Tages, weil er während meiner Abwesenheit den halben Flammkuchen nicht nur in Alufolie gewickelt, sondern ihn auch nochmal erwärmt hat.
Auf der Rückfahrt ins Saarland speise ich also Flammkuchen und Mokka-Schokokuss und das köstlichste daran ist die Umhüllung aus Mokka-Schokolade, die zwischen meinen Fingerspitzen schmilzt. Und ich habe eine Prachtgeige im Kofferraum und ich finde, Neustadt ist eine wunderschöne Stadt und ich bin glücklich.
Auch ungeduscht.
Ein reicher Tag.

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Ein reicher Tag.

Genau so liest es sich auch : )

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mit dem duschdoktor waere das nicht passiert. soviel ist klar.

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