Sonntag, 10. Juni 2012
Normal sein wär so schön
Einfach mal ein ganz normales Gespräch, das wär so schön.
Die Mutter am Telefon darauf aufmerksam machen, dass in einem halben Jahr ihr runder Geburtstag ansteht, und da dieser auf einen Freitag fällt, den Vorschlag machen, das darauf folgende Wochenende mit den Kindern bei ihr in der Heimatstadt zu verbringen, und dass sie dann sagt, oh ja, das wäre schön; Zeit mit euch zu verbringen wäre schön. So eine normale Reaktion wäre schön.
Stattdessen ein Entsetzensschrei am anderen Ende des Telefons. Schrecklich, immer dieses Gehabe um die runden Zahlen. Wie furchtbar alle immer feiern und geehrt werden wollen an den runden Geburtstagen, sie bräuchte das alles nicht. Sie hätte sich vorgenommen, gerade ihren runden Geburtstag nicht zu feiern. Vielleicht den im Jahr darauf dann wieder. Aber den runden nicht. Und nein, abhauen will sie auch nicht. Aber sie habe in der Zeitung ein Interview gelesen von einer Schriftstellerin, die sich auch rundet dieses Jahr, und die hätte sich, genau wie sie, jetzt auch zurückgezogen von der Welt. Von den falschen Freunden und dem Getue. Und die hätte gesagt "Wer mich lieb hat, bleibt daheim" in diesem Interview, und dieses Motto wäre nun auch ihrs. "Also, Schätzel, sei mir nicht bös, aber ich sag jetzt auch mal: wer mich lieb hat, bleibt daheim." Vielleicht würde sie es sich aber zwei Tage vor dem Geburtstag doch noch mal anders überlegen und doch gerne Besuch haben wollen, das könne natürlich durchaus sein. Schließlich sei es ja ihr Geburtstag, und da könne sie ja wohl auch sagen, wie sie ihn feiern möchte oder ob überhaupt oder nicht. Zwei Tage vorher würde ich einen spontanen Wochenendbesuch in der Vorweihnachtszeit aber wohl nicht mehr realisieren können. Ich müsste mir das Wochenende schon jetzt bereits bewusst freihalten, wenn wir uns da sehen wollen. "Ach, und immer diese Geschenke!" entgegnet sie daraufhin. Sie bräuchte keine Geschenke und Ehrungen und alles konzentriere sich immer nur auf diesen einen Tag und dann wird man fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Geschenke braucht kein Mensch, es sei doch viel wichtiger, einfach nur Zeit miteinander zu verbringen. "Genau das wäre es, wenn wir kämen. Wir würden Zeit miteinander verbringen." "Aber doch nicht an dem Tag! Wieso muss das alles nur an dem Tag sein. Man kann sich doch auch sonst im Jahr mal sehen." "Es wäre halt ein Anlass. Was ist so falsch daran? Dass wir uns zur Konfirmation gesehen haben, war doch auch schön." "Ja, die Konfirmation war schön." "Siehst du. Das war auch ein Anlass." "Aber ich bleib dabei: wer mich lieb hat, bleibt daheim. Ich geh vielleicht auch noch nicht mal ans Telefon, wenn einer gratulieren will. Also wunder dich nicht, wenn ich nicht dran gehe. Aber abhauen tu ich nicht. Zu Hause bin ich schon. Vielleicht kommt ja doch einer, der an mich denkt." "Ach, Überraschungsbesuch wäre also willkommen?" "Nein, nein, kommt bloß nicht! Ist nicht gegen euch, aber ich sag halt: wer mich lieb hat, bleibt daheim. Aber vielleicht steh ich auch einfach vor eurer Tür. Man kann nie wissen." "Überraschungsbesuch ist bei uns ganz schlecht. Wir würden dann sicher keine Zeit haben." "Ach, das stört mich nicht, ich bin ja ganz unkompliziert. Bei der Einschulung der Fünftklässlerin aufs Gymnasium wars doch auch sehr schön, und ihr habt euch gefreut." "Euer Überraschungsbesuch bei der Einschulung hat unseren ganzen Zeitplan über den Haufen geworfen, und dann hast du die ganze Zeit über mich hergezogen von wegen diese Hektik bei uns sei zum kotzen, aber wir hatten eben einen engen Zeitplan, da es auch mein erster Tag an der Musikschule nach den Ferien war und ich die Einschulung und meinen eigenen Schulstart und den des Achtklässlers sowie einige Telefonate irgendwie unter einen Hut bekommen musste. Und über meine Klackerschuhe hast du auch den ganzen Tag nur hergezogen. Wenn du früher gesagt hättest, dass du kommen möchtest, hätten wir gucken können, ob es passt. Gut möglich, dass ich das auch noch mit einplanen hätte können, aber euer Überraschungsbesuch hat alles ziemlich durcheinander geworfen an dem Tag." "Jaja, dein Vater wollte das ja auch nicht machen, der wollte mich noch abhalten, aber Überraschungsbesuche sind doch viel besser. Da musst du dir keinen Stress machen wegen Vorbereitungen. Wenn wir da sind, sind wir da, und so isses dann eben, und das klappt dann auch ganz ohne Vorbereitungen. Ich find das toll." "Mit Vorbereitungen habe ich keine Probleme. Ich hätte es wirklich lieber vorher gewusst. Der Überraschungsbesuch hat uns viel Stress bereitet." "Aber die Fünftklässlerin hat sich doch bestimmt gefreut. Und das ist doch die Hauptsache, oder?"
Zu sagen, dass auch die Fünftklässlerin sich nicht gefreut hatte, bringe ich nicht übers Herz. Dass sie die Oma nicht mehr wieder sehen wollte, hatte sie noch kurz zuvor gesagt, nachdem diese ihr durch ihr Benehmen den ganzen Geburtstag vermiest hatte.
"Aber bitte, bei meinem runden Geburtstag, bleibt daheim! Wer mich lieb hat, bleibt daheim. Keine Überraschung! Und keine Ehrung. Keine Geschenke. Ach, oder macht doch einfach, was ihr wollt. Macht einfach, wie ihr euch fühlt und was ihr wollt."
Wie ich mich fühle? Zum heulen.
Und was ich will? Ganz normal feiern können. Ganz normal planen können.
Ganz normal sein.

... comment

 
Überraschungsbesuch ist eine Sache - ein Überfall eine ganz andre.

Nun ja... sie will nicht feiern, das kann man ja respektieren.
Dieser Anspruch "das ist MEIN Tag, da müssen alle springen, wie es mir jede Sekunde anders einfällt" - geht gar nicht. Und Sie sollen daheim bleiben.

Nehmen Sie sich das zu Herzen, halten Sie sich daran und machen Sie sich mit Ihrer Familie einen schönen Tag bzw. ein tolles Wochenende!!! (Und gehen Sie auch den ganzen Tag NICHT ans Telefon, seien Sie nicht erreichbar. Feier Sie, daß Sie in Ruhe feiern oder auch bloß Ruhe haben : ) )

... link  

 
Untertauchen
Genau. Einfach Untertauchen, nicht erreichbar sein, diesen Tag selber nutzen. Das ist nur konsequent nach dieser Ansage.

Der Mensch ist im wesentlichen frei,
und seine Freiheit macht ihn zum Menschen. (Hans Scholl)

:)

... link  

 
Deine Mutter folgt keinen logischen Kriterien; es ist also völlig sinnlos, auf ihre (momentanen/vorgeblichen) Vorstellungen in irgendeiner Weise zu reagieren. Du kannst Dich nur nach dem richten, was Du möchtest, und das ist a) sich das Wochenende frei halten und schauen, was passiert und ob sich kurzfristig eine schöne Situation mir ihr ergibt oder es dann eben schlicht ein freies Wochenende war, oder b) sich das Wochenende nicht freihalten und damit den Geburtstag ad acta legen. Ich finde beide Ansätze absolut okay und für beide gibt es viele gute Gründe.

Ich glaube nicht, dass es möglich ist, aus dieser Beziehung jemals noch irgendeine Art von Anerkennung zu ziehen. Die Traurigkeit darüber kann ich verstehen.

... link  

 
Frau Novemberregen hat völlig Recht.
Es ist egal, wie Sie sich entscheiden, aber entscheiden Sie sich jetzt.
Sich in die Tyrannei der Launen zu begeben, lässt einen Schaden nehmen.
Und wenn man es sich noch so sehr wünscht, geachtet und respektiert zu werden in seinem Leben, passiert das in den seltensten Fällen durch die Verwandtschaft.
Ja, ich habe jahrzehntelange Erfahrung mit Überfällen und angekündigten, aber nicht durchgeführten Besuchen durch den Genpool.
Jetzt teile ich einfach die Zeiten mit, in denen ich besuchsbereit bin. Ansonsten passt es eben nicht.
Wenn ich sage 'Weihnachten und die beiden Tage danach' muss man sich nicht wundern, wenn man am Tag danach kommt, dass man hier keine Woche Urlaub mehr hat. Blöd.
Lohnt sich aber, was Festes zu buchen.
Falls man schwach wird.
Ach ja, und wenn einer überfällt, bin ich das.

... link  

 
Ja, ihr habt alle Recht.
Ich werde es wohl so machen, dass ich mir zunächst nichts anderes konkretes vornehme an dem fraglichen Wochenende, ist ja auch noch ein bisschen Zeit bis dahin und bis dahin kann sich eventuell alles noch mal um 180 Grad drehen.
Sollte eine Konzertanfrage eintreffen, muss ich dann halt entscheiden, ob ich erst noch mal Rücksprache halte mit meiner Mutter, oder ob ich direkt zusage.
Und ansonsten, sollte es ein freies Wochenende bleiben, um so schöner. Den Kindern und mir wird schon noch was einfallen. Wobei ich auch noch gucken müsste, ob es nicht vielleicht sogar ein Papa-Wochenende für die Kinder ist. Weil dann würde es doch noch etwas komplizierter, falls man einen spontanen Wochenendbesuch realisieren sollte. Weil ich nämlich nicht einfach prophylaktisch die Wochenende tauschen möchte. Nur bei wirklichem Bedarf. Und wenn das dann kurzfristig nicht mehr geht und meine Mutter sich darüber aufregen sollte: ihr Problem!

... link  


... comment
 
Hey.

... link  


... comment