Mittwoch, 26. August 2015
Unterwegs
Werte Leserschaft,
an dieser Stelle werden Sie zu einem späterem Zeitpunkt unter anderem von einer langen aufregenden Zugfahrt lesen. Bitte haben Sie noch ein wenig Geduld, denn ich bin gerade noch mit singen beschäftigt.

Voilà:

Wenn man 20 Minuten Aufenthalt hat, etwas essen möchte und der Akku des Handys leer ist, das einem üblicherweise als Uhr dient, erweist sich der Mannheimer Hauptbahnhof als ein extrem schwieriger Bahnhof. Wimmelt es oben auf den Bahnsteigen noch geradezu von Bahnhofsuhren, fehlen diese leider gänzlich im Bereich der unterirdischen Fressmeile. Schnell ein Brötchen auf die Hand zu holen und den Rest der Wartezeit dann wieder oben auf dem Bahnsteig zu verbringen, ist aber ja auch doof. Und noch doofer ist es, sich ganz aufs Bauchgefühl zu verlassen, was die Uhrzeit betrifft, vor allem, wenn man eine Karte mit Zugbindung hat. Praktisch, dass immerhin auf der Toilettenquittung die Uhrzeit vermerkt ist. Weniger schön allerdings, dass ich laut dieser Zeit meinen Zug bereits längst verpasst hätte. Lieber Toilettenquittungsuhrzeitautomatenwart in Mannheim, bitte reparieren Sie das. Womöglich gibt es weitere Reisende, die wie ich wegen leerem Akku darauf angewiesen sind. Danke.
Offensichtlich zwar, dass es sich bei der Quittungsuhrzeit um eine fehlerhafte Angabe handelt, dennoch bin ich nun doch leicht in Unruhe versetzt worden und überzeuge mich vor der Essenbeschaffung sicherheitshalber noch einmal oben am Gleis von der richtigen Uhrzeit.
Ok, noch 14 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges, genug Zeit, erneut runter zu gehen, um dort etwas zu essen zu besorgen.
Mit einer Art Dinkelpfannkuchenhühnchenpaprikatasche in der Hand dann wieder hoch ans Gleis.
Oh, eine Durchsage, der Zug verspäte sich um 10 Minuten.
Naja, geht vorbei.
Nächste Durchsage, der Zug verspäte sich um 15 Minuten.
Egal, ich muss anschließend keinen weiteren Zug mehr erreichen, und bis zum Treffen mit Frau Novemberregen am Frankfurter Hauptbahnhof würde ich dort voraussichtlich ohnehin etwa eine Stunde warten müssen.
Zug fährt ein, ich steig ein.
Super, ich erwische einen Platz mit Steckdose und kann mein Handy laden. Das Uhrzeitdilemma ist somit für den Rest des Tages gelöst.
"Noch jemand zugestiegen?" Ja, ich, bitteschön, dankeschön. "Ihre Karte ist in diesem Zug nicht gültig" blafft die Schaffnerin mich an. Weia, vor meinem verspäteten Zug kam doch tatsächlich am selben Gleis noch ein anderer, regulärer Zug und in dem sitze ich nun und bin leider nicht auf dem Weg zum Hauptbahnhof, sondern zum Flughafen.
Ok, mein Fehler, ich hätte genauer aufpassen müssen beim einsteigen, aber die Schaffnerin könnte dennoch echt etwas freundlicher sein. Umso hilfsbereiter dafür ein mitreisender Herr, der für mich rasch recherchiert, dass mein ICE wegen Vandalismus letztlich gar nicht fuhr und es später irgendwann einen Ersatzzug dafür gegeben hätte.
Am Flughafen überlege ich kurz, ob es mir mit dem Ticket, das mich schließlich an einen ganz andern Ort gebracht hat als geplant, vielleicht sogar gelingt zu fliegen, verwerfe diesen Gedanken jedoch sehr schnell als zu albern, ja denke ihn noch nicht einmal zu Ende.
In der Nähe des Hauptbahnhofs schließlich bei einer Tasse Kaffee das Handy weiter laden, während draußen ein Frettchenbesitzer erfolglos versucht, dem Frettchen Katzenfutter zu verabreichen, welches ihm vom Securitymann des angrenzenden Drogeriemarktes geschenkt wurde. Ein sich angewidert krümmendes Frettchen sieht noch lustiger aus als ein Katzenbuckel.
Frau Novemberregen erkenne ich trotz neuer Frisur wieder. An sich nicht weiter verwunderlich, denn in zwei von drei Fällen in denen wir uns treffen, kommt sie frisch vom Friseur.
Wir verweigern, zu Recht, denn sie ging kurz darauf kaputt, eine sehr, sehr volle Bahn, besteigen daraufhin eine nur sehr volle Bahn, die kurz darauf zu einer sehr, sehr vollen Bahn wird, da Leute aus der sehr, sehr vollen und jetzt kaputten Bahn mit aufgenommen werden müssen.
Die Bahn spuckt uns in der Nähe des Karaokeladens aus und wir haben einen extrem lustigen Singeabend dort.

Ja, so war das.
Und irgendwie fehlt trotzdem die Hälfte.
Dass man mich für eine Flaschensammlerin hielt, fehlt.
Dass ein Kaufhausdetektiv mich verfolgte, auch.
Dass ich für eine Bahnreisende erster Klasse gehalten wurde, fehlt ebenso.
Und dass ich eine Stunde in Saarbrücken auf meinen Zug warten musste, dabei eine Limettenstange verzehrte und Tauben und Spatzen beobachtete und sich dabei verschiedene, total spannend bekleidete Personen, zu mir setzten, unter anderem ein Mann, den ich von einer anderen Zugfahrt bereits kannte, damals war er im Rollstuhl unterwegs und jetzt ging das Laufen wieder deutlich besser, was mich sehr freute, das fehlt.
Und dass auch der Frettchenmann spannend bekleidet war, fehlt. Der trug nämlich eine Frackhose.

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Ich mag ja schöne Geschichten, und ganz besonders mag ich schöne halbe Geschichten. Danke für diese hier.

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Danke!

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(Der Mann mit dem Frettchen und der Frackhose, also. Da muß doch was dahinterstecken. Vermutlich heißt er Frank Friedrich, ist Friseur und hat sich den Wohnort aus klanglichen Gründen ausgesucht. Andererseits weiß man ja natürlich nie.)

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Also, als würde hier nicht noch Wesentlicheres fehlen: was wurde gesungen?

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Es war eine bunte Mischung aus Titanic, Jar of hearts, Beatles, Atemlos, Griechischem Wein, Queen und einigen neueren Songs, bei denen ich meist gar nicht weiß, wie die heißen. Angels von Robbie Williams war dabei und Phil Collins, das schöne Weihnachtslied der Pogues und vieles mehr. Old Macdonald had a farm hatte ich auch noch auf die Playlist geschummelt, das wurde aber leider abgelehnt wegen kindisch.

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Interessant. Wenn Old Macdonald kindisch, dann zu wenig Alkohol? Sonst wäre Le coq est mort auch noch gegangen.

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Ja, wenig Alkohol. Und der tote Hahn befand sich glaube ich nicht in der Liederliste.

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Ich fand Karaoke bis vor kurzen überhaupt kindisch, was natürlich blöd war. Singen macht immer Spaß, vor allem, wenn man es nicht kann. Dazu kam die Erfahrung, dass es in Südostasien offenbar keine Weihnachstfeier gibt, die nicht in einem exzessiven Karaoke-Gelage endet.

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Ah, das erklärt die teils weihnachtlich angehauchten Videos. Ich vermute allerdings, exzessives Karaoke ist in Asien unabhängig von Weihnachten ohnehin allgegenwärtig. Die ausgelassene Stimmung in den anderen, von Asiaten besetzten Räumen, war jedenfalls unüberhörbar.

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Auf meiner Playlist war dieses Mal viel P!nk, ich habe erstaunt festgestellt, dass das für mich erkältet sehr gut singbar ist. Ich erwäge, mich zu spezialisieren. Die Frisur passt ja jetzt auch.

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