Mein Bruder hatte am 23.12. Geburtstag, einen Tag vor Heiligabend.
Es war mehr oder weniger immer ein einziges, großes Fest gewesen, die beiden Feste gingen ineinander über.
Als mein Bruder dann nicht mehr lebte, wurde das erste Fest, sein Geburtstag, nicht mehr gefeiert, sogar nicht mal mehr erwähnt im Familienkreis. Das färbte ab auf Weihnachten. Auch Weihnachten wurde dann einfach nicht mehr richtig gefeiert bei uns.
All die Traditionen, mit denen ich als Kind groß wurde, warf ich über Bord und klinkte mich mal hier, mal dort zum Weihnachten feiern mit ein und lernte dabei viele unterschiedliche Traditionen kennen.
Als die Kinder klein waren, haben wir dann unsere eigenen Traditionen entwickelt. Wobei die wichtigste wohl die ist, dass wir kaum Traditionen haben und Heiligabend eher unkonventionell und improvisiert daherkommt bei uns.
Mal gibt es einen Weihnachtsbaum, mal keinen oder einen nur sehr kleinen und manchmal muss auch einfach nur die Stehlampe herhalten.
Den Tag vor Heiligabend, den feiert niemand mehr mit mir. Und ich auch nur im Stillen. Als Gedenktag. Ein Trauertag eher als ein Festtag.
Wobei er heute sehr versöhnlich war.
Ich habe gekocht für morgen. Mit viel Zeit und Gedenken.
Und war beim Jahresabschlussyoga. Mit viel Zeit und Gedenken und Kerzenschein.
Happy Birthday, Oliver! Komm lass uns rausfeiern aus deinem Geburtstag und reinfeiern in Heiligabend zusammen, so wie früher, ja?

Ein kleines, vertrocknetes Gestrüpp in der Ecke, keine 20 Zentimeter hoch. Doch da war dieser winzige Trieb, wenige Millimeter grüne Hoffnung brachen durch den braunen Stängel. Wenige Millimeter Leben in dieser leblosen Wohnung, die wir räumten in tiefer Sprachlosigkeit.
Es wuchs ein Blatt und noch ein Blatt und dann noch eins und immer mehr. Er blieb an meiner Seite, der Benjamin, als ein Teil von dir, gehegt, gepflegt, besprochen und beschallt. Gemeinsam haben wir neue Wohnungen bezogen und fremde Städte entdeckt. Menschen sind gekommen und gegangen, einige geblieben.
Inzwischen überragt er mich an Größe und ist heute genauso groß, wie du es gewesen bist. Einmal hat er sogar Früchte getragen. Ja, es ist mir gelungen, ihn groß zu ziehen, deinen Benjamin. Und dabei ist mein Daumen normalerweise eigentlich gar nicht mal so besonders grün.